Kaum hat der Kollege Boecker hier die Frage gestellt „Brechen jetzt alle Dämme?", ist ein Dammbruch in einer Form erfolgt, wie ihn sich wohl selbst engagierte Kritiker des Mannes, der leider nach wie vor auf dem Sessel des Innenministers sitzt, bisher nicht vorstellen konnten.
Der Oberschnüffelminister lies jetzt in einem SIEGEL-Interview vollends die Maske fallen:
Er bezeichnete die gezielte Tötung von Verdächtigen durch den Staat als "rechtliches Problem". Würde etwa Osama Bin Laden aufgespürt und stünde eine derartige Entscheidung an, wären die Rechtsfragen in Deutschland "völlig ungeklärt", so der Innenminister: "Wir sollten versuchen, solche Fragen möglichst präzise verfassungsrechtlich zu klären und Rechtsgrundlagen schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten."
Dass es sich hier um verlogene Propaganda übelster Art handelt, wurde anderenorts bereits dargestellt.
Nicht nur, dass dieser Mann keine Bedenken hat, unter Folter erpresste Geständnisse zu verwenden und fordert, von Terroristen entführte Passierflugzeuge durch die Bundeswehr abzuschießen. Nun will der offensichtlich jeden Tag immer mehr jegliches Augenmaß und jeden Respekt vor der Verfassung verlierende Paranoiker unter Verstoß gegen alle Prinzipien der EMRK, insbesondere deren Art. 2 und Art. 6 Abs. II sowie des Grundgesetzes eine grundgesetzliche Regelung herbeiführen, die das gezielte Töten von Verdächtigen (!) durch staatliche Stellen erlaubt. Wer so etwas auch nur für möglich hält, tritt den Rechtsstaat und alles, was unsere grundgesetzliche Ordnung (noch) ausmacht, mit Füßen - und ist insbesondere für einen Posten absolut ungeeignet: Nämlich für den des Innenministers!
Fast ebenso schlimm ist allerdings, dass es sich hier nicht um einen Alleingang eines offensichtlich verwirrten Paranoikers handelt, sondern dass er einerseits durchaus Zustimmung findet und andererseits die Reaktion des Koalitionspartners nicht etwa deutlich ablehnend, sondern allenfalls lauwarm ausfällt, wie die Rhein-Zeitung berichtet:
„CDU- Generalsekretär Ronald Pofalla sagte der „Bild"-Zeitung (Montag): „Wir müssen prüfen, was der Staat tun kann, um auch zukünftig die Freiheit seiner Bürger zu schützen." Denkverbote wären grob fahrlässig. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte: „Die Form der Bedrohung hat sich grundlegend geändert. Deshalb muss sich auch die staatliche Reaktion auf rechtstaatlicher Grundlage ändern." Dies müsse man vorurteilsfrei diskutieren. Dagegen sagte CDU/ CSU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) dem „Kölner Stadt- Anzeiger" (Montag) zur Frage einer rechtlichen Regelung der möglichen Tötung von Extremisten im Ausland, er könne sich zur Zeit nicht vorstellen, um welche Fälle es sich handeln sollte."
„Parteichef Kurt Beck sagte am Sonntag im ZDF: „Wir dürfen die Freiheit nicht zu Tode schützen." Er glaube, dass Schäuble überzeichne. Ständig neue Verschläge seien nicht hilfreich. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), sagte der „Berliner Zeitung", man könne den Rechtsstaat nicht gegen den Terrorismus verteidigen, „indem man die rechtsstaatlichen Grundsätze in Frage stellt".
Wirklich scharfe Kritik an Schäubles Vorstoß kam nur von der Opposition:
"FDP- Vizefraktionschefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte am Sonntag an die Adresse des Ministers, der Rechtsstaat „deformiert sich, wenn er Ihren Vorschlägen folgen würde". Mit der gezielten Tötung von Verdächtigen wolle Schäuble „den politischen Mord legalisieren". Linksfraktions-Vize Petra Pau warf Schäuble vor, er werde jetzt „offenbar vollends von Verschwörungstheorien beherrscht".
Grünen- Parteichef Reinhard Bütikofer sagte im ZDF, Schäuble bringe mit seinen Vorschlägen nicht mehr Sicherheit, „aber auf jeden Fall das Ende der Freiheit, wie wir sie kennen". Damit würde Schäuble den Rechtsstaat in sein Gegenteil verkehren. Der Völkerrechtler Christian Tomuschat nannte die Vorstellung einer Legalisierung gezielter Tötungen „ungeheuerlich". Diese seien eindeutig unzulässig, sagte er der Berliner „Tageszeitung" (taz/ Montag). Ein Terrorist müsse grundsätzlich als Schwerkrimineller vor Gericht gestellt werden."
P.S. Der Volltext des Interviews - noch schlimmer als die Vorabversion - steht schon hier.
3 Kommentare:
Das erinnert mich fatal an eine Seyfried-Karikatur aus der Hoch-Zeit der RAF-Hysterie vor rund 30 Jahren: Die Polizei klingelt an der Wohnung, hält dem schlaftrunkenen Bewohner einen amtlichen Zettel vor die Nase, "Guten Tag, wir haben hier eine einstweilige Erschießung gegen Sie!"
Nur: Damals war das Satire.
Genau an diese Karikatur hat die taz sich wohl auch erinnert:
http://taz.de/blogs/zeichenblog/2007/07/09/impeach-schaeuble-2/
Ich kanns einfach nicht glauben.. Richtig lachen musste ich ja bei dieser Stelle im Interviw:
"SPIEGEL: Wäre es sechs Jahre nach den Anschlägen des 11. September und vor dem Hintergrund von Guantanamo nicht an der Zeit, dass der deutsche Innenminister sagt: Wir sind wachsam, aber eine bestimmte rote Linie werden wir nicht überschreiten, weil das unsere Gesellschaft unwiderruflich verändern würde?
Schäuble: Diese Frage kann ich nicht akzeptieren. Ich wünsche mir eine Diskussionskultur, wo es weniger hysterisch zugeht. Die rote Linie ist ganz einfach: Sie ist immer durch die Verfassung definiert, die man allerdings
verändern kann. Ein Vorschlag, das Grundgesetz zu modifizieren, ist kein Anschlag auf die Verfassung. Für mich bedeutet die Stärkung des Präventivgedankens auch eine Stärkung der Verfassung, weil sie den Menschen Vertrauen gibt."
Was geht da ab?
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